Warum ist Konsens so wichtig?

Sexualität als Safe Space

Sexualität kann eine der schönsten und verletzlichsten menschlichen Erfahrungen sein. Genau deshalb braucht sie eine Grundlage, die immer gelten muss: Konsens. Zustimmung. Doch obwohl das Thema scheinbar selbstverständlich wirkt, zeigt sich im Alltag immer wieder, wie unsicher, widersprüchlich oder unausgesprochen unsere Vorstellungen davon sind. Dazu gehören auch Befürchtungen, dass zu viel Reden über Grenzen die Magie des Moments zerstören könnte. Dabei ist es vor allem die Abwesenheit solcher Kommunikation, die mehr zerstören kann als nur einen Moment. Sexualisierte Gewalt kann für Betroffene schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen: Posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen, Depressionen, Schlaflosigkeit oder chronische Schmerzen gehören zu den möglichen langfristigen Belastungen. Diese können sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit erheblich beeinträchtigen. Viele Menschen wissen, dass Konsens wichtig ist – aber nicht immer ist klar, wie er eigentlich aussieht oder wie leicht Druck, Erwartungen oder Sozialisierung Konsens unterwandern können. In diesem Beitrag gehen wir dem Ganzen auf die Spur, mit hilfreichen Tipps, damit deine und eure Grenzen sichtbar und geschützt werden.

Was ist eigentlich Konsens?

Konsens bedeutet freiwillige, informierte und aktive Zustimmung – frei von Angst, Abhängigkeit, Druck und schlechtem Gewissen.

Rechtlich wird zwischen dem Negative Consent Model (»Nein heißt Nein«) und dem Affirmative Model (»Ja heißt Ja«) unterschieden. Der Artikel soll nicht in eine Jura-Vorlesung übergehen, aber die Begriffe sind auch für unsere Perspektive auf Konsens wichtig. »Nein heißt Nein« bestraft Handlungen, wenn eine Person widerspricht oder erkennbar nicht einverstanden ist. »Ja heißt Ja« verlangt dagegen eine klar erkennbare Zustimmung, bevor sexuelle Handlungen überhaupt beginnen dürfen.

Die Rechtsprechung in Deutschland deckt das im Gegensatz zu Ländern wie Schweden, Kanada und Spanien (noch) nicht ab. Als Therapeut wünsche ich mir, dass Konsens ein klares »Ja« bedeutet, das auch jederzeit zurückgenommen werden kann und alle Menschen einschließt. Auch außerhalb sexueller Kontexte.

Konsens heißt: Sicherheit und Entscheidungsfreiheit

Warum ist Konsens Thema im gesellschaftlichen Diskurs?

Wir reden über Konsens, weil sexuelle Grenzüberschreitungen häufiger passieren, als viele denken. Oft sind es nicht die Horrorszenarien aus dunklen Parkanlagen, die man aus Filmen kennt, sondern Alltagssituationen:

  • Druck, »mitzugehen«, aus Angst, die andere Person zu enttäuschen.
  • Das Gefühl, »liefern zu müssen«, weil man »schon mitgemacht hat« oder vor ein paar Monaten mal »Ja« zu dieser Praktik gesagt hat.
  • Situationen, in denen Menschen sich zu überwältigt fühlen, um »Nein« zu sagen.

Manche Menschen haben Schwierigkeiten, ihre eigenen Grenzen klar zu spüren oder auszudrücken. Unter anderem, weil sie auf eine bestimmte Weise sozialisiert sind und gelernt haben, zu gefallen, zu schweigen oder auszuhalten, statt ihre Grenzen zu schützen. Studien zeigen, dass gerade Mädchen in Situationen sozialer Spannung zu indirekten oder nonverbalen Signalen greifen, statt eindeutig »Nein« zu sagen.1 Das ist ein Muster, das weniger mit der eigenen Unsicherheit zu tun als eben mit genau diesen geschlechterbezogenen Rollenerwartungen. Deshalb geht uns Konsens alle an.

Wenn Grenzen nicht respektiert werden: Fight, Flight, Freeze

Psychologisch betrachtet reagieren Menschen sehr unterschiedlich, wenn sie sich unwohl oder bedroht fühlen: Einige werden wütend (Fight), andere wollen fliehen (Flight). Viele jedoch fühlen sich überrumpelt und können zunächst gar nicht reagieren, weil in diesem Moment alles zu schnell geht. Sie »frieren« ein (Freeze), weil der Körper nicht mehr in eine aktive Abwehr kommt. Das ist ein Schutzmechanismus – kein Einverständnis, denn Schweigen und Passivität sind keine Zustimmung. Und es zeigt, warum »Nein heißt Nein« eben nicht ausreicht.2

Wie kann man Grenzen wahrnehmen und schützen?

Viele Menschen spüren Grenzen körperlich: Unruhe, innere Anspannung, Übelkeit oder das Gefühl, »plötzlich aus dem Körper zu rutschen«. Wenn es geht, hilft es, innezuhalten und zu fragen: Fühlt sich das nach mir an – oder nach Erwartung? Möchte ich oder soll ich? Grenzen zu kommunizieren oder nachzufragen, ruiniert nichts. Im Gegenteil: Es schützt und schafft Vertrauen, denn Intimität braucht Sicherheit.

Dazu gehört:

  • Nachfragen statt Raten
  • Raum für Entscheidungen (»Du musst nichts tun, was sich nicht gut anfühlt.«)
  • Tempo rausnehmen
  • Einchecken: Wie fühle ich mich körperlich und emotional in diesem Moment, wie fühlt sich mein Gegenüber?
  • Akzeptieren, dass ein Zögern genau wie ein »Nein« immer Grund genug ist, zu stoppen.

In Beziehungen – egal ob hetero, queer, monogam oder offen – bedeutet Konsens, mit Veränderungen umzugehen. Ein »früheres Ja« ist kein »Ja für immer«.

Unterstützung, wenn etwas passiert ist

Wenn du merkst, dass Grenzen überschritten wurden, musst du nicht allein damit bleiben. Hilfe zu holen ist ein erster wichtiger Schritt zurück in Sicherheit. Du bist nicht schuld, wenn deine Grenzen verletzt wurden. Grenzverletzungen können nicht nur emotional belasten, sondern auch deine körperliche und psychische Gesundheit beeinträchtigen – von anhaltender Erschöpfung und Schlafproblemen bis hin zu Stressreaktionen, die sich im Körper festsetzen können. Psychotherapeutin Sanaa Laabich hat für dich einen Beitrag genau zu diesem Thema geschrieben.

Hier findest du weitere Informationen und Unterstützungsangebote:

Konsens ist die Grundlage für jede intime Begegnung und damit weit mehr als ein Nice-to-have oder eine bloße Formalität. Nur wenn sich alle Beteiligten sicher fühlen, entsteht ein gesunder Raum für Vertrauen, Nähe, Verbundenheit und Lust. Nimm dir Zeit, Grenzen wahrzunehmen – deine eigenen und die anderer. Sexualität verdient Respekt, Achtsamkeit, Neugier – und damit immer ein echtes »Ja«.

@systemischegesundheit
Lukas Maher

Lukas Maher ist Psychotherapeut mit ADHS. Auf Instagram klärt er über ADHS, Irrtümer der sogenannten Pop-Psychologie und zu mentaler Männergesundheit auf.


Quellen:

1Vgl. O’Connor, C. & Begun, S. (2025): "Understanding Sexual Consent Among Adolescents: A 30-Year Scoping Review". In: Sexes, 6(3), S. 41.
2Vgl. McEwen B.S. (2007): "Physiology and neurobiology of stress and adaptation: central role of the brain". In: Physiol Rev., Jul;87(3), S. 873-904.

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